LOOPING

Zwitschermaschine

Omniversale Klangkunst in ihrer konsequentesten Ausprägung.


Zwitschermaschine
Looping

VÖ 20.10. 2023
CD and digital

get it on bandcamp

Musik kann so Vieles sein. Warum also nicht alles auf einmal? Am besten, sie vereint alle nur denkbaren Gegensätze in sich und vollbringt das Paradoxon, im Einklang des Unvereinbaren den Clash des Offensichtlichen heraufzubeschwören. Als der deutsche Expressionist Paul Klee 1922 sein dadaistisches Aquarell „Zwitschermaschine“ malte, hatte er zwar eine visuelle Vorstellung von dem kakophonen Vogelapparat, aber womöglich keine Ahnung von ihrem Klang. Die Leipziger Band Zwitschermaschine (nicht zu verwechseln mit der Art Punk Band desselben Namens aus auslaufenden DDR-Zeiten) liefert nun ein ganzes Jahrhundert später eine Antwort.

Saxofonist und Klarinettist Mark Weschenfelder, der auch für die Kompositionen verantwortlich zeichnet, Saxofonist und Flötist Paul Berberich, Flötist Vincent Bababoutilabo, Posaunist Johannes Lauer, Kontrabassist Andris Meinig, Schlagzeuger Florian Lauer sowie Florian Kästner am Fender Rhodes und Jan-Einar Groh am Modular Synth locken uns auf ihrem zweiten Album „Looping“ in ein zauberhaftes Labyrinth voller akustischer Fußangeln. Sowie man sich auf eine Aussage, ein Idiom, eine Gangart oder eine Haltung der Band einlässt, findet man sich im nächsten Augenblick ganz woanders wieder. Was sich in der Wahrnehmung des Augenblicks wie das vermeintliche Gegenteil des gerade Gehörten ausmacht, bildet doch im großangelegten Konzert der Kontraste zuverlässig ein stimmiges Ganzes.

Dieser Effekt ist nicht unbedingt beabsichtigt, betont Mark Weschenfelder. Dieses Album ist ein subtiles Stil-Konglomerat aus einer Vielzahl von Einflüssen. Die Band bedient sich im Jazz ebenso wie im Punk, in der Blasmusik gleichermaßen wie in der elektronischen Musik, und das sind nur vier von unzähligen anderen Schnäbeln, aus denen es hier loszwitschert. Es geht Weschenfelder aber nicht darum, sich im Sinne einer erstarrten Patchwork-Ästhetik in den Gegensatz zu dem einen oder anderen Genre zu begeben und dieses von innen heraus aufzubrechen. „Ich frage mich immer, wo die Essenz eines Stückes liegt. Daran beginne ich mich dann abzuarbeiten, auch wenn dieser Prozess Monate lang dauern kann. Ich möchte nicht in den Modus verfallen, von vornherein festzulegen, wie ein Stück zu klingen hat, weigere mich, Klischees aufzunehmen, ohne sie zu hinterfragen.“ Für jedes Stück wird ein neuer konzeptioneller Rahmen gesetzt, der im Lauf des Prozesses gefüllt bzw. erweitert wird. Oftmals stellt sich beim Hören das Gefühl ein, bestimmte Passagen würde man bereits längst verinnerlicht haben, ohne sie jedoch konkret zuordnen zu können, weil sie eben ausnahmslos den Parametern ihrer ureigenen flexiblen Logik folgen. Statt des offenen Bruchs sucht Weschenfelder den sanften Fluss der Extreme.

Nun herrscht auf „Looping“ beileibe kein Mangel an Versatzstücken. Aber indem er jedes von ihnen hinterfragt, befreit er die Hörer der Band von der Last, diese Hinterfragung selbst vornehmen zu müssen. Man kann alles, was auf dem Album passiert – und es passiert viel – genau als das nehmen, was es ist. Jedes „Das macht man so“ geht Weschenfelder und der Zwitschermaschine komplett ab. Einfach nur Dinge zu tun, weil man sie eben so tut, kommt für sie nicht infrage. Der Bandleader kommt aus der freien Improvisation, komponiert aber für die Band wesentlich komplexer, als man es in dieser Art von jazzkompatibler Musik erwarten würde. „Manchmal bin ich neidisch“, gibt er unumwunden neidlos zu, „dass ich mir so viel Arbeit mit meinen Kompositionen mache, wenn es hin und wieder in der improvisierten Musik doch auch so einfach gehen kann. Aber das sind die Ausnahmen. Und die sind die, und wir sind wir.“

Die permanente Sinnsuche dieser Musik zwischen der unerfüllten Sehnsucht nach Vollkommenheit und der bedingungslosen Bereitschaft zur pragmatisch-kreativen Destruktion erinnert an einen imaginären Dialog zwischen Faust und Mephisto, bei dem man immer auf dem Weg bleibt, aber vorsätzlich niemals ans Ziel kommt, denn das Ziel wäre das Ende und ließe keine Erweiterung zu. Weschenfelder und Co. sprengen permanent den eigenen Rahmen, verschieben aber gleichzeitig stets den Horizont, der somit immer gleichweit auf Distanz bleibt. Er will mit der Originalität seiner Kompositionen und deren Umsetzung auch jene Hörerschichten erreichen, die sich für nichts weniger als avantgardistische oder experimentelle Musik interessieren. Scherzhaft spricht Weschenfelder von Sophisticated Elevator Music und trifft damit den Nagel auf den Kopf.

Wohlklang und Störgeräusch, Ruhe und Chaos, Kalkül und Impuls, Rückgriff und Aufbruch. Vielleicht Jazz. “Looping“ ist die rigorose Quersumme aus allem, was die Musik dieses Albums ist, und all jenem, was sie darüber hinaus sein könnte, aber aus gutem Grund nicht ist. Musik, die beim Hören absolut nichts voraussetzt, aber keiner Voraussetzung im Weg steht. Omniversale Klangkunst in ihrer konsequentesten Ausprägung.