HOW NOISY ARE THE ROOMS?
Almut Kühne / Joke Lanz / Alfred Vogel
HNATR? gelingt es … den Begriff Überforderung positiv zu besetzen.
Almut Kühne: vocals
Joke Lanz: turntables
Alfred Vogel: drums & percussion
Boomslang Records
digital + Vinyl (im Vertrieb von Galileo Music GmbH)
Release März 2021
get it on BANDCAMP
Kann Musik ein Schleudertrauma auslösen? Stellen wir die Antwort auf diese Frage zunächst hinten an. How Noisy Are The Rooms vertritt eine extrem provokante Auffassung von kreativer Anarchie. Geballte Energie von drei Komponenten, die unentwegt gegeneinander anlaufen, versetzt den Hörer in den Zustand einer Kugel im Flipperkasten, die erbarmungslos hin und her geschleudert wird, niemals zur Ruhe kommt und stets an allen Punkten gleichzeitig ist.
Hinter How Noisy Are The Rooms verbergen sich die Berliner Stimmvisionärin Almut Kühne, der ebenfalls in Berlin lebende schweizerische Turntable-Wizard Joke Lanz und der Vorarlberger Schlagzeug-Multitasker Alfred Vogel. Vogel betreibt seit vielen Jahren unter dem Motto Bezau Beatz ein Open Ear Festival, auf dem es gern zu Kollisionen und unverhofften Begegnungen kommen darf und soll. Eine solche Kollision war das Zusammentreffen von Vogel und Lanz. Die beiden Extremisten verstanden sich auf Anhieb und gaben sich das Ja-Wort zu einem gemeinsamen Projekt. Das allein reichte Vogel aber nicht, und weil er ohnehin schon lange Almut Kühne zum Tanz bitten wollte, wurde ein Dreier daraus. Im März 2020 kamen sie zusammen, checkten bei einem Abendessen die gemeinsamen Vibes und legten am nächsten Morgen mit einem Jam los. Da Almut Kühne mit ihrer Stimme, Lanz mit seinen Sounds und Vogel mit seinem Instrument drei völlig unterschiedliche Klang- und Referenzbereiche besetzen, konnten sie sich noch so sehr ins Gehege kommen, es entstand immer kreative Reibung.
Der Drummer schwärmt vom roten Faden, der sich aus diesen Sessions ergab. Diesen zu entwirren, ist für den außenstehenden Hörer eine Herausforderung. Es braucht nur wenige Augenblicke, und man droht komplett die Orientierung zu verlieren. Und das ist gut so, denn wie die Goldmarie bei Frau Holle erwacht man unversehens in einer Utopie im Zeitraffer. Kategorien wie Vergangenheit und Zukunft kollabieren, das Anachronistische wird zum Futurismus und umgekehrt. Der süße Traum heißt Chaos.
Trotz der subatomaren Kleinteiligkeit aller Elemente, die wie über einen außer Kontrolle geratenen Teilchenbeschleuniger auf die nackte Hörmembran geschleudert werden, gibt es auch ein Moment der Struktur und Entschleunigung. Während das Kraftzentrum bei den meisten Formationen das Schlagzeug ist, liefert in der Konstellation von How Noisy Are The Rooms Alfred Vogel den geerdeten Gegenpart zur allgemeinen High Speed-Verwirrung. „Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich ein wenig Struktur in das Chaos bringen muss“, resümiert er verschmitzt. Um auf einen Vergleich aus einem völlig anderen musikalischen Quadranten zuzugreifen, erfüllt er hier eine ähnliche Funktion wie Charlie Watts zwischen den Gitarren der Rolling Stones. Es hat zwar keine Chance, seine in Lichtgeschwindigkeit enteilenden Partner einzufangen, doch er nimmt den Fuß fast nie von der Stoiker-Bremse, auf dass Gravitations- und Zentrifugalkraft gegeneinander wirken. Diese völlig gegenläufigen Zeitstrahlen lösen zusätzliche Spannung aus.
Erneut gefragt: Kann Musik ein Schleudertrauma auslösen? Yes, sie kann – wenn sie unser Sinneszentrum einem Meteoritenhagel der Eindrücke und Wahrnehmungen aussetzt. In einer Epoche, in der wir die permanente Umwertung aller Werte als Normalfall akzeptieren, gelingt es Almut Kühne, Joke Lanz und Alfred Vogel mit ihrem postmusikalischen Wimmelbild „How Noisy Are The Rooms“ erstmals in der jüngeren Geschichte der Menschheit, den Begriff Überforderung positiv zu besetzen. Mehr Revolution geht nicht!